Montag, 22. März 2021

 

Was ich über die Kinder erzählen kann:

Es ist schon erstaunlich, wie sehr ich mich in einem Ameisenhaufen fühle, wenn ich mittags an der Schule ankomme. Tausend wuselnde kleine Hände, Gesichter, Geschichten, Augen und zwischendurch von irgendwo ein Drücker. Einfach so.  Erstaunlich, wie mich die Erstklässler letzte Woche verblüfft haben. Eier bemalen. Eine meiner Lieblingsbasteleien. Scherz. Ich bin ja nicht so die Bastelfee. Aber bepackt mit Styropor-Eiern, Farben, Pinseln, Glitzerdeko, bunten Federn und schönen Bändern wage ich mich in die 2a. Mal sehen, wie die kleine Scheißerchen meine Idee finden. Noch bevor ich mir weitere Gedanken machen kann (Frau Beerhorst, immer schön im Hier und Jetzt bleiben. Immer, immer, immer), reißen mir die Kleinen die Idee und die dazugehörigen Utensilien förmlich aus der Hand. Lara's Eier waren am Ende pastellfarben mit hellen Pailetten beklebt. Passt irgendwie zu ihr. Die stille Lara, die immer lächelt. Rachel hat ein Glas bemalt und beklebt. Einfach alles draufgeklatscht, was nicht schnell genug wieder abfiel. Am Ende hatte sie eine wunderschöne "Chipsschale", die irgendwie zu ihr passte. Rachel mit ihren bunten Klamotten und den immer wirren Haaren und schnellen Gedanken.  Caspar hielt mir am Ende drei bebastelte Ostereier vor die Nase. Eins bunter als das andere. Es glitzerte und funkelte aus allen Rundungen. Auf die Frage, ob er sich freue, wenn er seine Geschenke an Ostern der Mama schenken werde, entgegnete er entrüstet: "Die behalte ich für mich. Das sind meine!" Sieh' an. Der neue Liberace. So unterschiedliche Kinder. So unterschiedliche Ergebnisse. Jedes auf seine Art wunderschön und erstaunlich.


Was ich über mich erzählen kann:

Was ich kann ist Sekretärin. 33 Jahre lang war ich im Büro, habe lange damit gehadert. Fühlte mich so ordentlich, so eingegrenzt, so reduziert auf eine Rolle. Und doch habe ich den Job immer gutgemacht. Ob ich diesen Job jetzt auch gut mache? Ich weiß es nicht. Zumindest rede ich mir oft ein, dass ein gehöriges Maß an Zweifeln legitim sei. Warum nur?

In der Notbetreuung läuft es doch so. Tür auf, 10 neue Kinder. Distanzunterricht in der Schule. Ewiges Gesuche und Gequengel, wer denn nun was zu machen habe. Müde Kinder, genervte, zappelige Kinder. Jedes von ihnen bedürftig. Auf der Suche nach Blickkontakt, Grenzen, Unterstützung, lieben Worten und netten Gesten. Am Anfang des Tages habe ich drei Jungs im Blick, die mehr als anstrengend sind. Ben, Jakob und Luis. Der eine ständig laut, der andere hört null, der dritte kann nicht stillsitzen. Am Ende habe ich jeden "eingefangen". Ich muss nicht mal viel dafür tun. Zumindest fühlt es sich so an für mich. Ben ist ein Meister der Zahlen. Der Stolz in seinen Augen, als ich ihn bis in die Hunderter rechnen versuchen lasse, obwohl die Klasse erst bis zu den 20ern rechnet. Belohnt werde ich mit der Frage: "Spielst du gleich mit mir?". Jakob ... mit Jakob kann man reden. Der hört doch zu. Man muss nur dabeibleiben, ihn ernstnehmen, selber zuhören und ihn ansprechen, ermutigen. Dann blitzt sein Sozialverhalten durch. Der ist gar nicht so "verkehrt". Er wischt am Ende sogar den Saft auf, den Lisa auf den Boden gekippt hat. Ganz Gentleman. Und Luis. Luis kann besser rechnen, als er zugibt oder selber merkt. Still neben ihm sitzen, zuschauen, sich wundern und weiter ermutigen, aber neben ihm sitzenbleiben. Nicht weggehen, nicht aufgeben. Auch auf Luis bin ich am Ende stolz, und er selber auf sich auf.

Was mich nervt ist, dass ich an mir selber zweifle. Ich bin die Quereinsteigerin. Die, die kaum Geld verdient in dem ganzen Zirkus. Sich wertlos fühlt. Ich bin eine Löwenbändigerin, die ihren Job, auch ohne psychologische Ausbildung, ganz gut macht. DAS sollte ich öfter mal denken! Ich lehre, begleite, spiele, tröste, bringe bei, lache, ermutige, ermögliche, höre zu, höre hin, erziehe, bin da. Im Hier und Jetzt. Immer, immer, immer. "Frau B., kommt du morgen wieder?" ... der Ritterschlag.