Mittwoch, 24. März 2021

 

Kennt ihr diese kleinen Momente, wenn ihr abends im Wohnzimmer sitzt und draußen zwitschert ein Vogel so laut, dass ihr die Balkontür aufmachen MÜSST? Ist das ein "Corona-Moment" oder einfach nur schön, auch ohne die kleinen Inselchen, die ich mir tagtäglich suche, um meiner Seele etwas Gutes zu tun.

Mich nervt dieser Aktionismus, bei dem ich am Anfang der Pandemie dachte mitmachen zu müssen. Yoga am Bildschirm, virtuelle Treffen  mit Freundinnen, Sport am Laptop, DIY-Kurse bis zum Abwinken. Entspannen, Ausruhen, Wegmachen vom kollektiven Wahnsinn, dem ich mehr und mehr anheimfalle. Ich war immer schon ein Mensch, dem der zwitschernde Vogel auf dem Baum auffällt, auch mitten in der Stadt. Also werde ich den Moment nicht als "Corona-Moment" verbuchen, sondern als schönstes Geräusch am Ende eines aufregenden Tages.

Aufregender Tag, weil heute Ausflug in den Wald mit 6 durchgedrehten kleinen Monstern. Der eine zerrt in die eine Richtung, die andere will in die genau entgegengesetzte. Kein Wasser dabei, auch kein Proviant. Wir müssen wohl sterben. Die einen wollen am Waldtipi weiterbauen, die anderen zum Bach. Paritätisch, wie ich veranlagt bin, wollte ich durch demokratische Abstimmung eine Lösung herbeiholen. Tja ... 3 zu 3 ist nicht wirklich eine Lösung. Also, wer bestimmt? Die Gruppe kam auf die Idee, wir gehen erst zum Bach und dann zum Tipi. Bis auf Jessi. Jessi fing an zu heulen und sprach: "Dann bleibe ich hier". Meine pädagogische Antwort (ich hatte ja gestern das Buch über kleine Tyrannen gelesen und fühlte mich berufen): "Dann gehen wir ohne dich weiter". Das Geheule von Jessi steigerte sich ins Unermessliche. 

Ich hatte dann doch noch eine gute Idee. Wir setzen uns alle zusammen hin und reden. Reden einfach mal über uns als Gruppe, in dem jeder einzelne einen Wunsch hat und vor allem ... Gefühle. Das hat tatsächlich gut funktioniert. Und so saßen wir da zusammen, wie eine kleine Familie, jeder kam zu Wort. Plötzlich ging eine Tür auf. Wir hatten Zeit. Wir mussten gar nicht irgendeine schnelle, sonderpädagogische Lösung finden. Erstmal wollten Tränen getrocknet und Wünsche gehört und auch Frust rausgelassen werden.

Ich habe mich bei Jessi entschuldigt und ihr erklärt, ich würde sie in Wahrheit niemals alleine im Wald zurücklassen und habe das nur gesagt, weil ich nicht weiterwusste. Diese kleine süße Mädchen schaute mich mit großen Augen an und schwupps! sprang sie auf und verkündete, sie würde nun mitgehen. Erst zum Bach und dann zum Tipi. Wir liefen drei Stunden durch den Wald, redeten, lachten, alberten, kletterten, bestaunten, lauschten und tankten unfassbar viel Sauerstoff. Unsere letzten Meter haben wir mal wieder damit zugebracht, dass alle laut schreien durften, was immer sie wollten. Und so hallte voller Kraft und Energie: "Scheiße, Mist, Arschloch, blöde Scheiße, kack Corona" voller Inbrunst durch die Bäume. Mit rotglühenden Wangen, sichtlich zufrieden und auch ein bisschen kichernd ("Frau Beerhorst, dass wir bei dir schreien dürfen ist soooo cool") kamen wir kurz vor Schulschluss wieder auf dem Schulhof an.

Corona ist eben auch eine beschissene Zeit für Kinder. Umso besser, wenn sie ihre Energie im Wald weit ausbreiten und einfach mal alles rauslassen dürfen. Was sie ihren Eltern wohl erzählen ... ?