Dienstag, 2. Februar 2021

 Ich gehe ...

... gegen meine Depressionen. Jeden Tag. Eine Stunde. Ohne Ausnahme. Bei jedem Wetter.

Ich schreibe ...

... gegen meine Dämonen. Heute: Birgitta v/s "Du hast kein eigenes Leben" (Dämon Nr. 1)


Scheisse, dass ich mich verpflichtet habe, jeden Tag zu gehen. Heute ist das ultra Mistwetter. Es regnet Bindfäden und ist saukalt. Es ist halb 12, ich sitze in der Küche, mir ist schlecht und kalt. Vielleicht sollte ich immer nach dem Aufstehen schreiben. Dann wäre der erste Mist und Müll schon mal aus mir raus.

Ich fühle mich alleine. Ob es Einsamkeit oder Alleinsein ist, weiß ich nicht. Ich bin durch und durch alleine. Und ja, ich könnte mich heute Nachmittag mit Nadine oder Moni verabreden. Aber ich mag nicht. Ich mag nicht. Ich fühle mich schwer wie blei. Ich kann nur noch weinen. Ich fühle mich in meinem Herzen und jeder meiner Fasern einfach nur alleine. Total allein. Wie habe ich das als Kind überlebt? WIE HABE ICH DAS ALS KIND ÜBERLEBT? Da war niemand. Ich habe alles mit mir alleine ausgemacht. Alles. Keine Mutter, kein Vater. Nur ich und irgendwie die Welt um mich herum. Ich bin gar nicht sozialisiert worden. Man hat ja nicht mit mir geredet. Mich nicht in den Arm genommen, mich nicht getröstet, ermutigt. Gesehen, gespielt, zugehört? Nein. Einfach nein. Ich war auf mich alleine gestellt. "Sei bloß nicht sichtbar!" Das ist mein erster Dämon. Er wollte mir helfen, mich zu ducken. Mich so klein zu machen, dass ich nicht in Gefahr kam. Meine Mutter schwankte, ich musste sie stützen. Mein Vater war weg oder es hagelte Schläge.

Ich habe es so gut gemacht, wie ich konnte. Ich habe mich angepasst, damit ich nicht erschlagen oder noch mehr alleingelassen werde. 

Jetzt sitze ich hier. 53. Keine eigene Idee vom Leben. Außer, dass meine Mutter in der Nähe wohnt, und ich sie nicht mehr haben kann.

Ich habe eine Puppe auf dem Sperrmüll gefunden. Eine weiche Mädchenpuppe, die ungefähr 1,20 m groß ist. Sie war so verdreckt, aber beim Vorbeifahren ist sie mir ins Auge gesprungen. Ich habe sie mitgenommen. Zwei Wochen lag sie verdreckt in meinem Fahrradkorb. Ich bin sozusagen um sie herumgeschlichen und habe mit mir innerlich ausgemacht, ob "man" so was machen kann. Eine Puppe haben. Mit 53. Als das innere Ja kam, musste sie erstmal in den 60 Grad-Schleudergang in die Waschmaschine. Jetzt sitzt sie mit Beanie und neuer Strickjacke bei mir auf dem Sessel. Und jeden Tag, wenn ich starke Gefühle habe, setze ich mich in den Sessel, nehme sie auf den Schoß und schaukel. Ist das peinlich? Keine Ahnung. Mir hilft es, dass ich nicht hinter Hannes herrufe und von ihm verlange, dass er mich tröstet und mein Alleinsein stillt. Ich vermisse es unfassbar, dass jemand für mich da ist. Dieses tiefe Loch kann niemand stillen außer ich selber. Ich kümmere mich, ob ich es schaffe, mir ein Gefühl von "ich bin da" zu vermitteln, weiß ich nicht. Ich frage mich, wie ich das als Kind überlebt habe, warum ich noch lebe und nicht als Drogentote irgendwo gefunden wurde oder unter einer Brücke penne und Unmengen Alkohol in mich reinschütte. Genauso kaputt wie Drogis oder Obdachlose bin ich allemal. In mir drin.

Wie mache ich jetzt aus diesem Tag einen schönen Tag? Kaffee, Duschen, was Schönes essen, ein Film auf Disney+ und rausgehen ...

Bis morgen!