Montag, 1. Februar 2021

Ich habe gar nicht blankgezogen. 

Es macht mich einfach unsagbar traurig, dass ich nicht weiß, was ich aus meinem Leben machen möchte. Das irre daran ist, das ich bis jetzt ja schon etwas daraus gemacht habe. Aber das gefällt mir nicht. Bis auf meine Tochter gefällt es mir nicht.

Ich hatte immer eine Blockade in mir, mich für mich einzusetzen, mir was Eigenes zu überlegen. Ich hänge mich an Menschen, ich rede ihnen nach dem Mund, ich hänge mich an Umstände, an meinen Hund, bloß, um nicht frei zu sein. Und so sehr ich frei sein möchte, so sehr ist mir die Gefangenheit gewohnt. Ich kann sie nicht einfach auf einen Schlag aufgeben. Das kann ich einfach nicht. Punkt.

Ich arbeite als Betreuerin an einer Grundschule. Heute Mittag, als ich dorthin fuhr, ging es mir schlecht. Ich steckte fest in meinen Gedanken. Ich hatte Angst, den Kindern meine neue Idee von den Traumreisen vorzuschlagen. Ich hatte Angst, es würde niemand mitmachen wollen. Und so kam ich im Klassenraum an und fand alles total bescheuert. Die Kinder waren laut, ich hatte keine Lust, mit ihnen zu spielen. Wie kannst du hier rumsitzen und spielen? Das war nur einer meiner Dämonen, der zu mir flüsterte. Du bist so über, sprach die Stimme in mir. Was du tust, ist lächerlich, tönte es weiter. Hier rumsitzen und spielen, das kann es doch wohl nicht sein.

Die Kinder waren laut, zankten sich, überall versuchte ein*r den/die andere*n noch zu überschreien. Am liebsten wäre ich nach Hause gefahren. Oder einfach weg. Weit weg. Für immer. Ich schämte mich, kam mir überflüssig vor. Was, wenn die Kinder mich doof finden, schoss es mir durch den Kopf. Ich setzte mit auf den Teppich des Spielraumes und schaute einfach zu. Brille beschlagen, scheiß Mundschutz. Plötzlich ging die Tür auf. Emma kam auf mich zu: "Frau Beerhorst, kannst du mal kommen?" Ich ging raus und sah, dass Emma weinte. Sie schluchzte richtig, bekam kaum Luft. Ich nahm sie einfach in den Arm. Scheiß was drauf, ob es richtig war oder falsch oder Corona oder sonstwas. Die kleine Emma, verschwitztes Gesicht, zerstrubbelte Haare, und die Tränen liefen und liefen. 

Der Klassiker. Drei sind eine*r zu viel. Sie fühlte sich ausgestoßen. Zu Recht. Hatte doch Sarah ihr ganz deutlich gemacht, dass sie heute nicht mitspielen durfte. Sarah wollte Mia, die heute das erste Mal seit zwei Wochen wieder in der Schule war, für sich alleine haben. Oh Mann. Meine Idee war, mit den drei Grazien zusammen zu reden. "Nein. Pah! Keine Lust", tönte es aus Sarah's Mund. Mia guckte verzweifelt, Emma weinte immer noch. Trotzdem habe ich mir die drei irgendwie geschnappt und bin mit ihnen in ein leeres Klassenzimmer gegangen. Dort hockten wir auf dem Teppich, und ich dachte nur. "Lieber Gott, lass' es mich nicht verkacken!" Es war wie eine Fahrt auf einer Nussschale durch Sturm und Orkan. Mal weinte die eine, mal die andere. Dann schrien alle durcheinander. Mia war völlig überfordert von den beiden anderen, die an ihr rumzerrten. Sie beschloss, dass sie einfach morgen nicht mehr in die Notbetreuung kommt. Wir redeten und redeten. Ich zumindest versuchte, ihnen zuzuhören und sie dafür aufmerksam zu machen, dass Gefühle im Spiel sind. Sarah wollte endlich mal wieder mit ihrer Freundin Mia alleine spielen, die sie wegen Corona seit drei Wochen schon nicht mehr gesehen hatte. Mia freute sich auf beide. Und Emma war traurig, weil sie so zurückgestoßen wurde. Wir redeten und redeten. Ich tröstete und tröstete. Der Gong zum Mittagessen machte dem ganzen Szenario ein Ende. Ich dachte: "Das war's. Ich fahre nach Hause. Ich schmeiße alles hin. Die reden nie wieder mit mir. Ich HABE es verkackt". 

Nach dem Mittagessen kamen die drei Mädels händchenhaltend auf mich zugestürmt und berichteten mir voller Stolz, dass sie nun doch zusammen spielen würden und es soooo viel Spaß macht. Wow! Das Topping des Tages war, dass fünf Kinder Lust auf meine Traumreise hatten und voller Ungeduld fragten, wann es denn nun endlich losginge. Und Paul, der kleine, schwierige Paul, der so undurchsichtig wie bedürftig ist, fragte mich, ob ich heute auch noch mit ihm spielen würde. 

Nach meinem Dienst bin ich gelaufen. Eine Stunde durch den Wald. Was war das für ein Tag!

Bis morgen!