Montag, 1. November 2021

 

Klausi

Guck' mal, so sieht Martin im Schlaf aus

Ich muss alles anfassen. Bäume, Hecken, Häuserwände (gedämmte Häuserwände klingen hohl) und Statuen. Während ich also die halbnackte Statue im Nikolaiviertel angrapsche ruft es von rechts:" Ick mach ma' dett Foto von euch. Stell dich ma dazu". Der Ruf kommt von rechts, von der Parkbank. Orangene Jacke, Dreitagebart, alter grüner Hut, nettes, offenes Lächeln. um die 60. Ich denke: "Na jut, bevor die Muddi nicht mit uffs Bild kommt...", rufe die Muddi und reiche mein Handy nach recht über die kleine Hecke. In dem Moment schießt mir durch den Kopf: "Wie doof bist du denn? Was ist, wenn der Kerl mit deinem Handy abhaut?". Ich wieder. Ich bin so naiv. Und so gutgläubig. Aber die Berliner Schnauze bleibt sitzen und macht wie angekündigt Fotos von mir und meiner Mutter vor der Nacken im Kirchgarten.

So kommt man ins Gespräch. Also ich jedenfalls. Und "Muddi" sowieso. Ich habe ihr Gen geerbt, alles anzuquatschen, was nicht bei Drei auf den Baum kommt. Oft genug innerlich rot geworden deswegen, habe ich so auf jeden Fall viele nette Menschen kennengelernt. Also hier: Klausi (Pfarrer aus Kassel, liebt Lack und Leder, ist eher scheu, sabbert beim Schlafen, knipst angestrengt hinter der Statue und traut sich nicht hervor), Peter (Fotograf, Berliner, schnell beleidigt) und Martin, sein Mann (wohl eher der Neutrale, auch farb- und klamottentechnisch).

Ich muss wohl bei Drei noch auf der Bank gesessen haben, denn Peter schöpft aus dem Vollen. Noch bevor ich mich wundere, wieso der eine sich verdächtig lange hinter der Statue tummelt, der andere eher liebevoll breit grinsend neben mir steht, erzählt Peter mir alles! "Also, weeßte, det is ja hier die Nikolaikirche, aber datt mit dem ältesten Viertel ist ooch Quatsch ... aber zwee so hübsche Frauen, seid ihr Schwestern?" (der eine, also Martin, reißt die Augen auf und entschuldigt sich für Peter ... , der: "Ja, watt denn? Ick hab ja nüscht jesacht, datt se alt aussehen, nur beede so hübsch, ach is mir doch ejal, watte da immer rinnquatscht, also ... 1589 ... und dann kamen ja die Berliner und ham sich jewehrt ... aber die Touris ... Klausi! Sach' ma, wann kommste denn ma da hinter der Statue wech. Ja, der is schüchtern, aber steht total auf Lack und Leder ... da ham 'se dann den Berliner Dom ... ach übrijens, Klausi is ja Pfarrer ... da an der Ostseite war ja ...".

Ich seh' nur meine Mutter türmen "ich muss dahinten mal was fotografieren" und weiß nicht, ob ich lachen, auch türmen oder alle umarmen soll. Also diese  Männer. Als Peter dann exaltiert ausholt: "Wir sind ja schwul", denke ich "Ach, was!". Man plaudert noch so über die und das, die Muddi kommt auch wieder. "Guckt mal, so sieht meine Tochter im Schlaf aus". Ihr Handy geht rum. Ich fasse es nicht. Geht noch einer? Ja! Hier, bitte: Peter zückt auch sein Mobiles, schiebt Bilder hin und her: "Dett is Martin, wenn er schläft". Ich muss so lachen. Gott sei Dank lacht Martin auch. Also Peter und Mama haben auf jeden Fall den gleichen an der Waffel! Oh Mann, denke ich, wie kann man denn derart intime Bilder einfach mal nach gefühlten 3 Sekunden Kennenlernen herumreichen, als wären wir watt-weiß-ich.

Martin der Ruhige lässt das alles scheinbar gelassen über sich ergehen, lächelt mir zu. Mittlerweile hat sich Klausi hinter der Statue hervorgewagt und stellt sich zu unserer lustigen kleinen Truppe. Von oben bis unten in schwarzes Leder gepresst. Cowboyhut auf dem Kopf: "Ja, stimmt, ich bin Pfarrer, aber dass er immer alles ausplaudern muss". Ich weiß nicht, ich habe bestimmt so breit gegrinst. Aber mir war auch wohlig im Bauch und liebevoll im Herzen. Diese Drei waren so krass echt und so krass meine Wellenlänge. Ich glaube ja auch, das gibt es nur in Berlin. Kurz vor Mitternacht haben wir uns verabschiedet. Scherz! Muddi wollte noch zum Drachenbrunnen, das tausendste Foto schießen, und aufgetankt mit Tipps von den zwei Ur-Berlinern, wo wir noch hinMÜSSTEN, machen wir uns irgendwann auf den Weg.

Wir, also Muddi und ich, raus aus'm Nikolaiviertel. Dabei begegnen wir Martin nochmal. Er steht vor einer Pralinenboutique, grinst uns an: "Ich warte nur hier, die zwei streiten schon wieder" und zeigt auf den Laden.

Einen Tag später stehen Muddi und ich vor der Gedächstniskirche. Ich fotografiere, die Sonne sticht in mein Auge. Wen sehe ich vor meiner Linse? ... Klausi! Berlin ist eine Millionenstadt. Wie groß bitte ist die Wahrscheinlichkeit, dass man fremde Menschen zweimal sieht? Ick weeß' et nich. Klausi erzählt, dass er ganz schön sauer auf Peter war, von wegen alles ausplaudern und intime Fotos zeigen. Deswegen sei er heute alleine unterwegs. Er brauche eine Beziehungspause. Die beiden anderen seien ja soo anstrengend. Aber ein Foto macht er noch von Muddi und mir und schickt es direkt per WhatsApp an Peter. Der hat gestern noch beleidigt geantwortet: "Jetzt reg' dich nicht so künstlich uff. Die zwee siehste doch nie wieder!"

Klausi, Peter, Martin ... diese Geschichte ist für euch. Bussi!